idea-spektrum D 7405 C
Nr.8 23.
Februar 1994
DIE KUNST DES SCHNITZENS
Nach der Wende: Ein Elektriker
wird Holz-gestalter in Sachsen
Wie so viele andere Christen auch in der ehemaligen DDR konnte
Tobias Michael (41) aus Lauter im Erzgebirge seine Berufspläne
in den Wind schreiben. Eigentlich wollte er Künstler werden.
Er wusste jedoch, dass seine Bewerbung zur Aufnahme an der
Kunsthochschule keine Chance hatte - also unterließ er es
gleich. Schließlich war er kein Mitglied in der Freien Deutschen
Jugend (FDJ), dem staatlichen Jugendverband. Statt dessen
besuchte er regelmäßig die "Stunden" des pietistischen sächsischen
Gemeinschaftsverbandes. Der Glaube an Jesus Christus prägte
sein Leben, nicht die Partei.
Als Kind hatte er regelmäßig einen Schnitzzirkel besucht,
wie es ihn in fast jedem Ort im Erzgebirge gibt. Er entdeckte
sein Talent, doch entwickelte es nicht weiter. Wenn er nicht
Bildhauer werden konnte, dann wollte er seine Befähigung überhaupt
nicht einsetzen. Er wurde Elektriker. Nach Feierabend engagierte
er sich vor allem als Jugendgruppenleiter in der Gemeinschaftsbewegung.
Die Tätigkeit brachte ihn schließlich mit der Staatsideologie
in Konflikt. Als junger Mann hatte er den Wehrdienst bei der
Nationalen Volksarmee abgeleistet. Später wurde er mit der
kirchlichen DDR-Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen"
konfrontiert. Der diesem Slogan zugrundeliegende Bibeltext
aus dem alttestamentlichen Propheten Micha (Kapitel 4, Vers
3) überzeugte ihn bei der Vorbereitung einer Bibelarbeit -
und führte zu einem Gewissenskonflikt. Wie konnte er sich
in der Jugendarbeit für den Frieden engagieren, wenn er zugleich
als Reservist immer wieder Wehrübungen absolvieren musste,
so seine Überlegungen. Schließlich verweigerte er im Nachhinein
den Dienst mit der Waffe bei der NVA. Das rief den Militärstaatsanwalt
in Halle auf den Plan, da ein solches "staatsfeindliches Verhalten"
in der DDR-Verfassung nicht vorgesehen war. Michael wurde
einige Tage arrestiert. Um nicht bis zu zwei Jahre ins Gefängnis
zu gehen, musste er sich verpflichten, keine "wehrkraftzersetzenden
Aktionen" mehr zu unternehmen. Die Kontroverse veranlasste
die meisten Jungen aus seiner Jugendgruppe, sich rechtzeitig
für den DDR- "Ersatzdienst" als Bausoldat zu entscheiden.
Mit der politischen Wende in der DDR 1989 veränderte sich
Michaels Leben völlig. Der Vater von zwei Kindern nutzte die
Gunst der Stunde, beantragte eine Gewerbeerlaubnis "zur Herstellung
kunsthandwerklicher Artikel" und machte sich selbständig.
In seinem Haus richtete er eine Verkaufsausstellung für erzgebirgische
Volkskunst ein. Zugleich besann sich Michael auf seine jahrelang
brachliegenden Begabungen. Seitdem arbeitet er als Holzgestalter
- meist in seinem Geschäft. Ziel seiner Arbeiten ist es, die
Betrachter "zum eigenen Denken anzuregen".
Überwiegend gestaltet er christliche Themen: "Da ich Christ
bin, möchte ich meine Gabe in erster Linie zur Weitergabe
meines Glaubens benutzen." Mehrere große Werke sind inzwischen
entstanden, darunter eine Luther-Plastik zum Thema "Lehre
und Leere" und ein Kanzelschmuck "Das vierfache Ackerfeld".
Gleich seine erste Arbeit "Dynamis
- bewegende Kraft", ein Relief in Holz und Keramik, fand
einen prominenten Käufer, die Evangelistenschule Johanneum
in Wuppertal. Die Darstellung des gekreuzigten und zerrissenen
Jesus schmückt nun das Foyer vor dem Andachtsraum. "Ich wollte
vor allem die Härte der Folter am Kreuz zeigen", erläutert
Michael das Werk. "Hart, fast wie Stein, ist für Christus
das Kreuz, wegen unserer harten Herzen. Die Dornen aus Eiche
sollen zeigen, welche Härte das qualvolle Leiden für ihn bedeutete."
Michael stellt auch Grabmale
her, ausschließ1ich aus Eiche, in die er versucht, Charakterzüge
des Verstorbenen einzuarbeiten. Aber auch für Werbung, grafische
Entwürfe, sowie für Landschaftsaquarelle ist sich der Autodidakt
nicht zu schade. Er experimentiert auch gern mit verschiedenen
Holzbearbeitungstechniken, wie seine letzte große Arbeit -
Stein des Anstoßes (ein Osterthema) - zeigt.
Er hofft, dass bei den meisten seiner Werke deutlich wird:
"Ich falte meine Hände, bevor ich beginne."
Klaus Rösler
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